Bild einer Wissenschaftlerin - Porträt Karla Herrera Delgado
Die Katalysatorin
Ein „Mad Scientist“ habe sie als Kind unbedingt werden wollen, sagt Dr. Karla Herrera Delgado. Den Klischees von wirrem weißem Haar und Weltfremdheit entspricht sie ganz und gar nicht, Wissenschaftlerin aber ist sie durch und durch. Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) befasst sich Karla Herrera Delgado mit chemischen Energieträgern. Sie können unter anderem dazu dienen, Strom aus den schwankenden erneuerbaren Quellen Sonne und Wind bei Überangebot zwischenzuspeichern und bei Bedarf ins Netz zurückzuspeisen. Mit solchen Power-to-Fuel Konzepten lässt sich die Energiewende voranbringen. Da die Energiekonversion unter unterschiedlichen und nicht immer idealen Bedingungen abläuft, bedarf es dazu einer Prozesstechnik, die für verschiedene Skalen ausgelegt ist, sowie robuster Katalysatoren für die einzelnen Prozessschritte. Dies ist die Domäne von Dr. Karla Herrera Delgado: Seit 2017 leitet sie das Synthesegaslabor am Institut für Katalyseforschung und -technologie (IKFT) des KIT, seit 2018 ein Team in der Gruppe „Katalyse und Prozesse für die CO2-Fixierung“. Sie befasst sich derzeit schwerpunktmäßig mit der Umwandlung von CO2-reichem Synthesegas zu Methanol und Dimethylether (DME) und mit der heterogenen Katalyse, bei der Katalysator und reagierende Stoffe in unterschiedlichen Aggregatzuständen vorliegen.
Fasziniert vom Experimentieren
In Karla Herrera Delgados Forschungsalltag wechseln sich Modellierungen am Computer und Experimente im Labor ab. Letztere haben sie schon als Kind begeistert. „Mischen war immer mein Ding.“ Das lateinamerikanische Land Costa Rica, wo sie geboren und aufgewachsen ist, zeichnet sich nicht nur durch seine traumhafte Landschaft und seine unfassbare Artenvielfalt aus. Bildung besitzt dort einen hohen Stellenwert; Frauen stehen viele Möglichkeiten offen, wie Herrera Delgado berichtet. „Wer gute Noten, Interesse und Motivation mitbringt, kann studieren – an den Hochschulen ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ausgeglichen.“ Sie selbst entschied sich für ein Studium der Chemie an der Universidad of Costa Rica (UCR), der ältesten und größten Hochschule des Landes. Als Abschlussarbeit erstellte sie eine Machbarkeitsstudie für die industrielle Produktion von Zeolith A, einer vor allem als Enthärtungs- und Trockenmittel eingesetzten Chemikalie, in ihrem Heimatland. 2010 kam sie aus Costa Rica direkt nach Deutschland und ans KIT: Am Institut für Technische Chemie und Polymerchemie (ITCP) promovierte sie bei Professor Olaf Deutschmann. Sie befasste sich in ihrer Dissertation mit Katalysatoren auf Nickelbasis und entwickelte ein zuverlässiges mikrokinetisches Modell für die Anwendung dieser Katalysatoren in einem industriell relevanten chemischen Prozess.
Prozesse Schritt für Schritt optimiert
Die Untersuchungen im Rahmen von Karla Herrera Delgados 2014 abgeschlossener Promotion trugen entscheidend zum Erfolg des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekts DRYREF bei, an dem die Firmen BASF, hte, Linde sowie die Universität Leipzig, die TU München und das KIT beteiligt waren. Bevor das Projekt startete, hatte Karla Herrera Delgado etwas Zeit am Institut zu überbrücken. „Damals habe ich einfach im Sekretariat ausgeholfen.“ Pragmatismus zeichnet die heute 40-Jährige ebenso aus wie Humor. In der von Professor Jörg Sauer geleiteten Abteilung „Reaktionen und Materialien“ des IKFT betreut sie in Zusammenarbeit mit ihrem Gruppenleiter Dr. Stephan Pitter derzeit vier Doktoranden aus verschiedenen Ländern – Brasilien, Kolumbien und Deutschland. Demnächst kommt eine fünfte Doktorandin aus Brasilien dazu. „Einer meiner großen Träume ist, eine Forschungsgruppe mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt und internationalen Kooperationen zu betreuen.“
Dr. Karla Herrera Delgado lobt die familienfreundlichen Arbeitsbedingungen am KIT. Als sie schwanger wurde, konnten alle laufenden Forschungsprojekte unter strengen Schutz- und Sicherheitsvorkehrungen bzw. mit tatkräftiger Unterstützung der wissenschaftlichen Kollegen erfolgreich weiterlaufen. Ihre mittlerweile knapp dreijährige Tochter geht in die KIT-Kita. „Sie liebt die Kita – die Betreuung ist hervorragend.“ Zusammen mit ihrem Mann und der Tochter lebt Dr. Herrera Delgado in der Karlsruher Waldstadt. „Die Motivation und Unterstützung durch meine Familie, besonders meinen Mann Juan Pablo, ermutigt mich, herausfordernde neue Projekte anzugehen.“
Mit ihrer Forschung im Helmholtz-Programm MTET trägt Karla Herrera Delgado zu einem nachhaltigen Energiesystem für die Zukunft bei. Ihr Forschungserfolg spiegelt sich in den aktuellen Publikationen wider, an denen sie einen maßgeblichen Anteil hatte. Was ist ihre Vision? Die Forscherin verweist auf die Realität: „Wir betrachten zunächst aktuell laufende chemische Prozesse, um sie mit innovativen Ansätzen weiterzuentwickeln und vorhandene Ressourcen besser auszuschöpfen – Schritt für Schritt. Unser Ziel ist, kohlenstoffneutrale Technologien besser in die Energieversorgung zu integrieren.“ Also „scientist“, aber nicht „mad“. Ein bisschen Leidenschaft darf aber durchaus sein: „Wir machen ganz coole Sachen.“
Text von Sibylle Orgeldinger